Zur Ausstellung „Wald-Leben“ von Liane Lonken und Ilona Reinhardt im LWL -Museum Henrichshütte, Hattingen, 14. Juli bis 8. Oktober 2023

17.07.2024

In ihrer Ausstellung nehmen Liane Lonken und Ilona Reinhardt uns mit in das Leben des Waldes, zwischen den Bäumen hindurch, über die Lichtungen und an den Schlägen entlang, hinein in die geheimnisvolle Unterwelt der Wurzelgeflechte. In den Fenstern ihrer Werke veranschaulichen sie uns eindringlich die Schönheiten und die Gefährdungen der Wälder, die unser Dasein existentiell bestimmen.

Wir beginnen unseren Rundgang mit der großen „Körperlandschaft 1“ Ilona Reinhardts, die sich in dünn gezogenen und zu schmalen Graten geschobenen Wollvliesen auf der locker gewellt hängenden Leinwand erstreckt: ein von Flechten bedecktes Gestein mit blauen Adern vielleicht oder ein von Grünalgen überschwemmter Strand, der von hellen Prielen durchflossen ist oder – mit der Lupe betrachtet – die Fältelung haarflaumiger Haut und die Venen darunter.

Verwandte Texturen begleiten uns auch durch die Installation, die die Künstlerin in den halbtransparenten schwebenden „Waldfahnen“ ausgesponnen hat: fragile Traumfänger, in denen manches durch die Luft Wehende hängenbleibt, zauberische Netze, mit denen aus den Tiefen gefischt wird, brüchige Papyri, auf denen die Verwitterung ihre Schriftzeichen hinterlässt und Bäumchenervenzellen im Gewölk der organischen Gewebes.

Mit Liane Lonken kehren wir an die Oberfläche sommerlicher Wälder zurück, durch die sie im „Rechener Park“ spazierte, die duftende Luft, den leichtkühlen Hauch, das sonnendurchlichterte Laub genießend. Die intensive Präsenz dieser Eindrücke überträgt sich in den künstlerischen Techniken, deren Faszination unter anderem auf dem unmerklichen Übergang zwischen nahezu fotografischen Details im vorderen Bereich und ihrer zunehmenden Auflösung in einen diffusen malerischen Hintergrund beruht.

Im zentralen Raum der Halle haben die beiden Künstlerinnen mehrere Serien ihrer Arbeiten ineinander komponiert, so dass sich zahlreiche Bezüge ergeben, zum Beispiel Korrespondenzen und Kontraste der Farben und Formen.

Liane Lonkens „Tothölzer“ sind entstanden aus Betroffenheit über die Zerstörung des Waldes: Da ist ein Gelege kahler Stämme im fahlen Laub, Bruchstücke moosiger Äste im Gestrüpp über einem Wasser, filigrane dürre Gezweige im Schlamm, von rötlichen Sedimenten umlagerte Gehölze wie ausgeblichene Gebeine, und gegenüber liegen Birken auf einem blutigbrandigen Grund. Mit der Konzentration auf Zerfall und Zersetzung betont die Künstlerin die Trostlosigkeit dieser Sterbeorte und fordert uns auf, ihre Ursachen und Folgen zu bedenken.

Ilona Reinhardts Arbeiten öffnen durch ihre pelzige Plastizität und filzigen Strukturen andere Dimensionen des Wald-Lebens, die sich unter anderem im „Aufbruch“ versinnbildlichen, wo die treibenden Kräfte allesdurchziehender Geflechte graue Farbsedimente sprengen und sich als grünviolette Gewölle dringlich hervordrängen.

Die „Fungi“ führen diese Transformationen weiter: Auf der hellen Grundierung der Leinwand

sind Sprengsel wie von schwarzem Schimmel gestreut und darüber die in leichte Flusen gezauste und von feinem neongelbem Stoff in Wülste gehüllte Vliese verteilt. („Fungus 4“)

Die übrigen Arbeiten des Zyklus sind zum Teil mit Wachsschichten versehen, deren Glätte die Materialität der Wolle zusätzlich zur Geltung bringt. Darüber verweben sich Flocken und Netze wie die Myzele der Pilze in Fruchtkörpern.

Die ökologische Beobachtung ist für Ilona Reinhardt das eine, das andere ist die Freude an einer aufreizenden Gestaltung, an den Variationen sich ballender und blähender, schwellender Geschwülste, an der Entgrenzung der Farben, an den prallen gelben, grünen und rosaroten Tönen, die, auch mit einem Anflug des Ekels bisweilen, nachhaltig unsere Aufmerksamkeit wecken.

In ihren „Kleinen Paradiesen“ entwirft Liane Lonken die Ordnung eines Mikrokosmos, dessen abstrakte Formationen uns von den Anforderungen des uns Entgegenstehenden lösen

und uns zu freiem Spiel einladen. Auf dem Gewebe der Leinwand agieren Pinselschwünge und -züge, bewegen sich Farben in Gesten, Nuancen von Grün, Blau, Ocker und Braun, heller oder dunkler, lasierend oder pastos, steigen auf oder ab, lagern sich in Horizonten

Dann und wann ergeben sich Szenarien mit Kreisen und Streifen, plötzlich scheinen wir unter einem großen Pilzdach zu stehen und Grashalme und Moosstämme aus unserer Winzigkeit zu sehen, auch ein kleiner Bergsee öffnet sich unter bräunlichen Dämmerungen.

An der Stellage beginnt eine Prozession kantiger Objekte aus Ilona Reinhardts Reihe „Schleimpilze“, zuoberst mit violett hervorplatzenden Knollen, die auf dem haarigen Überzug wuchern. Darunter ist die Vorderseits des Ausschnitts mit einem rosigen Gespinst erstarrter Wolle überzogen, seitwärts finden sich lose blätterige Schichten, die Einblick gewähren in das Innere des Organismus. Auch in den auf dem Boden liegenden Stücken wirkt der Gegensatz zwischen ihrer geometrischen Exaktheit und den sie amöbenhaft umfließenden Plasmamassen.

Die „Immission 1“ konfrontiert uns erneut mit einem unausweichlichen Format, das eine ebensolche Problematik ausbreitet: das gelbgrün über einem dunstig bläulich-ockrigen Grund sprossende Vlies lässt sich auf vielerlei ausgesandte giftige Verunreinigungen beziehen, auf die vernichtenden toxische Zustände der Atmosphäre und Geosphären.

In der Arbeit der Künstlerinnen verbindet sich sehr Reales und Fiktion in Abstufungen von der dokumentarischen Erfassung und ihrer künstlerischen Verwandlung bis zum Imaginären, das die Wirklichkeit verdichtet und verdeutlicht.

Liane Lonkens Film über die Haardt bei Haltern zieht uns in eine trotz heller Sonne nahezu gespenstische Atmosphäre, skandiert von wenigen Vogelstimmen und den Schritten der Filmerin, deren Blick die bleichen Blätter, die bloßen Stämme, das tote Holz überall streift, gestürzt vor Zeiten, rottend im Boden und gerade geschlagen und gehäuft zu einer Strecke wie erlegtes Wild.

Wie der Film durchbrechen auch drei großen Ölgemälde der Künstlerin die Wand. Von links nach rechts treten wir zwischen die glatten grauen Buchenstämme („Waldlandschaft“),

die von grüngefiltertem Licht überspielt werden, das in eine zaubrische Tiefe hinein zunehmend ins Blaue changiert. Ernüchtert stehen wir dann vor dem „Kahlschlag“, in dem die Stümpfe und die umgelegten dünnen Stämme wie Grabsteine und Weggrenzen das Terrain gliedern.

Schließlich sind wir mit dem logischen Chronos beim „Holzberg“ angekommen: Da lagert das, was einst lebendig war, vernachlässigt trotz des notwendigen Bedarfs an Werkstoffen und Energievorräten.

Andernorts wütet der Sturm in Liane Lonkens synästhetischen Bildern: Im Sehen hören wir das Rasen, das Sausen und Jaulen der Luft, das Biegen und Brechen, das Bersten der Bäume, ihr Krachen, Splittern, Herausgerissenwerden aus der Erde, die ganze ungeheure Dynamik ist visuell verfestigt in Gedenkmomenten.

Auch wenn der Tornado in sich zusammensinkt, der Wind sich wieder beruhigt, die Welt fliegt uns im Ganzen auseinander, wie die Künstlerin es andeutet in ihrem Explosionspuzzle, dessen Verbund in Fragmente zersprengt ist.

Die beeindruckenden Ausstellung von Ilona Reinhardt und Liane Lonken schärft unsere Wahrnehmung dafür, dass alles verbunden in unserer schönen Welt und deshalb auch alles in Gefahr, nicht nur der Wald. Lassen Sie uns unsere Aufgabe ernst nehmen, das Leben zu bewahren und die Schöpfung gut zu verwalten.

©2023 Dr. Jutta Höfel